DIE SCHATTENSEITE DES INNEREN KINDES
Wieder vermehrt bzw. immer noch werden in verschiedenen Therapieformen,
aber auch in der Selbsthilfepsychologie, in Seminaren und Selbstfindungsworkshops,
mit dem populären, verletzten "Inneren Kind" gearbeitet. In einer Weise, wo das
Verständnis darin besteht, dass das brillante "Innere Kind" geheilt werden muss.
Es gibt dabei auch das idealisierte, perfekte, strahlende "Innere Kind",
das nur das Beste, Reinste und Schönste darstellen darf.
Diese Psychologie und Betrachtungsweise stammt aus früheren Zeiten der Industrialisierung,
wo dem Menschen mitgeteilt wurde: "Sei oder werde erwachsen, doch tue, was ich Dir
sage und anschaffe!" Seit neuestem gilt es, das "Innere Kind" gar zu schützen. Es scheint
irgendein verwundeter Anteil in uns zu sein, der versorgt und bandagiert werden muss.
Jedoch zwei wesentliche Aspekte dieses Paradigmas werden dabei ausgeblendet:
1. Das verwundete "Innere Kind" hat eine Ursache.
2. Die Schattenseite des "Inneren Kindes" wird von
Dir selbst am Leben erhalten (durch Deinen Versuch, es zu heilen!)
Hier an dieser Stelle möchte ich Stephen Wolinsky
"Die dunkle Seite des inneren Kindes - die Vergangenheit loslassen, die Gegenwart leben"
- in einer etwas abwandelnden, persönlichen Form der Ansprache zitieren: "Ich, als Beobachter
des Lebens, nehme am Aufbau, an der Interpretation und der Erfahrung meiner inneren
subjektiven Welt Teil. Der Beobachter ("Ich") eines Experiments nimmt an der Erschaffung
des Ergebnisses durch den Akt des Beobachtens teil. Du als Teilnehmer an einem Workshop
über das Innere Kind erschaffst sein Erscheinen durch den Akt des Beobachtens. Das heißt:
Wenn Du das Innere Kind suchst, erschaffst Du es durch den Akt des Suchens.
Es hat den Anschein, als ob das verletzte Innere Kind schon immer da war, unbemerkt.
An dieser Stelle ist es wichtig, darauf zu achten, dass Du (der Beobachter) zuerst da
warst und älter bist als die Identität des Inneren Kindes. Die Identität des Inneren Kindes
ist die Ursache von vielen unserer Probleme. Warum? - Das verletzte Innere Kind, an dessen
Erschaffung Du teilgenommen hast, hat eine eigene Lebenskraft und begrenzt Deinen
Handlungsspielraum und Deine Perspektive der Welt und des eigenen Lebens. Darüber
hinaus erschafft diese Beobachter-erschaffene Identität Verhaltensunvermeidbarkeiten
wie Versagen, Trennung oder emotionalen Stress."
Achtung & Wichtig! Ein lesenswertes und vor allem lesensnotwendiges Buch von Wolinsky:
Wenn z.B. mit Gruppen in Selbstfindungsworkshops, oftmals kombiniert mit Ritualen,
gearbeitet wird. Heute, gewissermaßen aus einem/meinem neuen Verständnis heraus,
möchte ich dringend darauf hinweisen, sich nicht einfach leichtsinnigerweise mit dem
Thema des Inneren Kindes zu beschäftigen, weil es gerade In ist oder es einen berührt
oder man sich gerade so gut von anderen verstanden fühlt. Mit diesem Thema zu
arbeiten, verlangt eine bestimmte Expertise, Kompetenz und viel an Wissen und Erfahrung.
Wer jahrelang wiederholend am selben Thema (Vater, Mutter, Eltern, Inneres Kind usw.)
werkelt und es ständig am Leben erhalten versucht, ist bereits von der "Schattenseite des
Inneren Kindes" hypnotisiert und gefangen/befangen genommen worden. Gefährdet in
höchsten Maßen sind vor allem Therapeuten, Psychologen, Seminarleiter, dessen
"Dunkle Seite des Inneren Kindes", die Identitäten nicht aufdecken und das Trauma
beenden wollen. Also VORSICHT! Der Beobachter, also Du, warst schon vor der Existenz
eines Inneren Kindes da! Wie schreibt Wolinsky noch in einer seiner Schlussfolgerungen?
"Dieses Buch wird Betroffenen und Therapeuten helfen, den nächsten Schritt zu tun und
1. dem Inneren Kind durch Erkenntnis seiner Strategien die Macht zu nehmen und
2. den einzelnen an den Ursprung seiner Erfahrung zurückkehren lassen, anstatt
sich auf alte Erfahrungen zu beziehen, die nicht länge einem nützlichen Zweck dienen."
Peter A. Thomaset
17. August 2024